Vom Wesen der Katze

„Der große freundliche Mann will was? Einen Hund???“

Frl. Lotte Miez starrte ihre Schwester aus großen, sehr großen, allergrößten Augen – um nicht zu sagen: Augen, so groß wie Teetassen – an. „Einen Hund? Aber warum?“

„Er findet Hunde toll“, erwiderte Frl. Leonie Mau mit nicht ganz so großen, aber auch recht weit aufgerissenen Augen. „Und außerdem hat er inzwischen endlich begriffen, dass keine Katze dieser Welt, nicht einmal wenn sie so anhänglich ist wie Jette (die Klette), mit ihm joggen gehen wird.“

„Natürlich nicht“, sagte Lotti verächtlich. „Wir sind doch keine Hunde… Oh.“

„Die Frage ist, warum Jette und Jehan ihm das Joggen nicht endgültig abgewöhnt haben“, fand Leo. „Ich meine, sie haben sich ja wirklich die größte Mühe gegeben, aber wann immer man ihn nicht wirklich richtig gut beschäftigt, zieht er diese sogenannten Funktionsklamotten an und fängt an, wie ein Verrückter draußen herumzurennen. Bei jedem Wetter.“

„Wie ein Verrückter“, befand auch Lotti, „oder eben wie ein Hund.“

„Ganz genau.“

„Hm.“

„Hm.“

„Wenn aber nun“, setzte Lotti nach einer kleinen Weile wieder an, „der Hund nicht nur wie blöd mit ihm draußen im Regen herumrennen möchte, sondern auch mit reinkommen will… also hier bei uns? Wenn er mit uns auf dem Sofa sitzen will? Was machen wir denn dann?“

„Wir verlangen, dass er sich erst abtrocknet“, schlug Leo vor. „Nasse Hunde riechen wirklich unangenehm, soweit ich weiß. Nicht, dass es hier nachher nach Hund riecht.“

„Kann er nicht einfach draußen bleiben?“, fragte Lotti. „Ich meine, er will doch bestimmt bald wieder durch den Regen rennen, da lohnt sich doch Abtrocknen gar nicht. Und außerdem habe ich Angst vor Hunden!“

„Woher weißt du das denn?“, fragte Leo interessiert. „Du bist doch noch nie einem Hund begegnet.“

„Deswegen habe ich ja Angst“, entgegnete Lotti mit Nachdruck. „Ich habe schließlich Angst vor allem, was ich nicht kenne.“

„Du bist aber auch einen Happen doof“, gab Leo grinsend zurück. „die leckeren Katzenkekse, die wir abends im Bett immer bekommen, die musstest du doch auch erst kennenlernen – und nun magst du sie total gerne.“

„Das sind ja auch Katzenkekse!“

„Und?“

„Hundekekse würde ich nicht mögen.“

„Ach so.“

Die beiden Katzen saßen eine kleine Weile nebeneinander auf dem Sofa und schauten so vor sich hin, Leo sehr entspannt und bewegungslos, Lotti mit zuckender Schwanzspitze.

Lotti war es auch, die die Unterhaltung fortsetzte: „Und wenn der Hund nun unsere Katzenkekse essen will?“

„Dann kriegt er Ärger!“, gab Leo sehr bestimmt zurück. Sie zückte die rechte Pfote und ließ nacheinander alle Krallen – zing! – aus der Schutzhülle springen. „Siehst du diese Krallen? Die schärfe ich jeden Tag für solche Momente.“

„Richtig, Krallen…“, stimmte Lotti ihr aufgeregt zu. „Die habe ich ganz vergessen.“

Sie hob voller Anmut die rechte Pfote und zeigte ihre auch ziemlich spitz wirkenden Krallen, die in einem sehr damenhaften Pink lackiert waren.

„Oh“, sagte Leo interessiert. „Jettes Nagellack?“

„Natürlich“, sagte Lotti stolz. „Den hat sie mir hinterlassen.“

„Sehr elegant“, gab Leo zu. „Das wird dem Hund das Fürchten beibringen. Du kannst doch auch knurren, oder?“

„Na klar“, sagte Lotti begeistert. „Wie ein Wolf. Soll ich mal: GRRRRRRRRRRRRRRRR!“

„Sehr eindrucksvoll“, stellte Leo fest. „Wie ein Wolf oder … wie ein Hund?“

„Hund? Ich kann Hundesprache?“

„Offensichtlich.“

„Wau. Äh, ich meine: Wow.“

„Du wirst dich großartig mit dem Hund verstehen“, vermutete Leo. „Und außerdem bist du die Inhaberin der Weltherrschaft. Das macht den Hund automatisch zu deinem Untertan. Und vor Untertanen hast du ja wohl keine Angst, oder?“

„Natürlich nicht“, gab Lotti mit fester Stimme zurück. „Äh… was genau ist eigentlich ein Untertan?“

„So was wie ein Bediensteter“, erklärte Leo. „Er macht, was du ihm sagst. Das ist das Wesen des Hundes.“

„Verrückt“, sagte Lotti. „Das sollte mal jemand von mir verlangen.“

„Du bist eine Katze“, erklärte Leo weiter, „du machst, was du willst. Das ist dein Wesen.“

„Stimmt“, erinnerte sich Lotti. „Das sind ja ganz einfache biologische Tatsachen. Der Hund ist mein Untertan und wenn er nass ist, kriegt er keine Kekse. Das sollte ja wohl klappen.“

„Davon gehe ich aus!“, gab Leo ihr recht. „Und selbst wenn er nicht nass ist, kriegt er nur die Kekse, die wir nicht so gerne mögen. Und auf gar keinen Fall kriegt er Jehans kalorienangereichertes Senioren-Trockenfutter. Das esse ich ganz alleine auf – und wenn ich platze!“

Lotti betrachtete das kleine Wohlstandsbäuchlein ihrer Schwester aufmerksam und zupfte dann ein bisschen an ihr herum.

„Dein Fell sitzt noch ganz locker. Da passt noch viel rein, keine Sorge!“

„Wirklich?“, fragte Leo erfreut.

„Aber natürlich“, beruhigte Lotti sie. „Guck mich an: Ich kenne mich aus. Außerdem: Je größer und dicker wir sind, desto mehr Respekt wird der Hund vor uns haben.“

„Sehr guter Gedanke!“, bestätigte Leo bewundernd. „Darauf sollten wir direkt noch eine kleine Mahlzeit zu uns nehmen. Los, lass uns die dicke freundliche Frau wecken!“

 

 

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