Was es auch gibt: Das Hospiz „überleben“.

Stellen Sie sich mal vor, Sie sind krank und werden „zum Sterben ins Hospiz geschickt“. Dort leben Sie sich mühsam ein und finden es schließlich vielleicht sogar ganz schön. Es vergehen Wochen und Monate. Und Sie sterben nicht. Sie gesunden nicht auf wundersame Weise, aber Ihr Zustand ist stabil, bleibt stabil. Und eines Tages legt man Ihnen nahe, doch bitte aus dem Hospiz wieder auszuziehen.

Unglaublich, oder? Kann aber passieren. Nicht allzu häufig, aber immer mal wieder. So auch meiner letzten Gästin. Als sie ins Hospiz einzog, ging es ihr gar nicht gut. Ihre Welt war nicht nur ins Wanken geraten, sondern gekippt. Im Nullkommanichts war sie aus ihrem alten Leben gerissen worden und mit einem Umweg übers Krankenhaus sehr geschwächt in einem Hospizbett wieder zu sich gekommen.

So viel Sehnsucht hatte sie nach ihrem früheren Leben, ihrer Mobilität, ihrem Garten. Und nun lag sie da und konnte sich kaum rühren. Schmerzmittel machten ihr das Denken schwer. Ihr Glaube half ihr, zum Glück konnte sie ehrlichen Herzens sagen: „Ich bin bereit zum Sterben.“

Wir führten großartige Gespräche, über Gott, die Welt und noch viel mehr. Trotz ihrer körperlichen Schwäche freute ich mich jede Woche, sie noch anzutreffen. Gleichzeitig rechnete ich ständig damit, über ihren Tod informiert zu werden.

Jedoch: Die Dame lebte weiter und auch ein bisschen auf. Sie genoss die Besuche ihrer Familie, das Essen und den Blick aus ihrem Zimmerfenster auf die herrlichen alten Bäume. Bei fast jedem meiner Besuche erzählte sie mir, was jetzt in ihrem geliebten Garten wohl blühen oder gar schon erntereif sein müsste. Wochen-, monatelang. Immer mal wieder sagte sie: „Ich bin bereit und weiß nicht, warum Gott mich so lange warten lässt.“ Andererseits, wenn ihr jemand ein Eis brachte: „Mit Eis müssen Sie mich vorher nicht fragen, da können Sie mich auch nachts wecken, ich freue mich immer!“

Dann kam plötzlich die Nachricht, ihr Zustand habe sich so weit stabilisiert, dass eine Hospizfähigkeit nicht länger gegeben sei. Sie möge sich bitte nach einer neuen Wohnmöglichkeit umsehen. Wieder kippte ihre Welt. Ihr Zustand war offiziell nicht mehr „sterbend“, das musste sie erst einmal verarbeiten. Zurück ins Leben sollte sie jetzt. Einfach so. Ich meine, stellen Sie sich das doch mal vor!

Ich konnte den Schock und die folgende Verwirrung meiner Gästin nur zu gut verstehen. Sie sterben, Sie sterben nicht – das verdaut sich nicht so leicht. Aber: So viele Menschen, denen es beständig schlechter geht in ihrer häuslichen Situation und die von einem selbstbestimmten Sterben weit entfernt sind, warten verzweifelt auf einen Platz im Hospiz. Manchmal wochenlang. Es ist nicht richtig, sie länger als unbedingt nötig warten zu lassen. Aber trotzdem…

Meine Gästin war schließlich tapfer. Ein Platz in einem guten Pflegeheim wurde gefunden. Sie redete sich selbst eine Weile gut zu und freute sich dann sogar auf den neuen Lebensabschnitt. Auf Dinge, die ihr im Hospiz nicht möglich gewesen waren. Ich bewunderte ihre Stärke, sehr. Unser Abschied war herzlich und voller Optimismus. Ich gab ihr viele gute Wünsche mit auf den Weg, vor allem aber den, direkt neben dem Heim möge sich ein sehr, sehr guter Eisladen befinden.

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