Wie alles anfing, Teil 2 (Katze 2 erzählt).

Wie genau die Vermittlungsbeauftragte meine Schwester und mich (übrigens hießen wir damals noch Luisa und mich, also Luisa und Jolly, wobei man mit Jolly mich meinte, was ich immer doof fand, denn das – also Jolly, nicht „Mich“ – ist doch eigentlich ein Name für einen Kater, oder – und dabei gibt es gar keine Schildpatt-Kater oder falls doch, dann stimmt was nicht mit denen!) mit Hilfe einer Freundin in zwei kleine Raubtierkäfige verfrachtet hat, kann ich Ihnen heute noch nicht sagen. Auf jeden Fall waren da ganz üble Tricks im Spiel!

Dann brachten die beiden hinterlistigen Personen uns in den ausbruchssicheren Käfigen (niemand soll sagen, ich hätte es nicht versucht!) ins Auto und wir fuhren los. Mir wurde von der Vibration und dem Lärm ziemlich übel. Außerdem erinnerte mich unsere Situation auf sehr unangenehme Weise an die letzte Reise, die wir gemacht hatten: von Almería in Spanien nach Hamburg. Im Frachtraum eines Flugzeugs, das in Turbulenzen geriet. Ich sah meine Schwester an; auch sie hatte einen glasigen Blick und glotzte schwer atmend an mir vorbei ins Leere.

„Schwester“, flüsterte ich, „was machen wir, wenn sie uns nie mehr aus diesen Gefängnissen rauslassen?“

„Natürlich lassen sie uns raus“, flüsterte meine Schwester zurück. „Sie bringen uns zu Bettina und da ist es wunderschön und sie lassen uns raus. Hoffe ich wenigstens.“

„Das hoffe ich auch. Und was machen wir dann?“

„Wir verstecken uns unterm Sofa“, zischte meine Schwester und hielt sich die Pfote vor den Mund, um sich nicht versehentlich auf den eigenen Pelz zu kotzen. Denn das tut eine Katze von Welt einfach nicht, egal wie, wann und wo sie sonst überall kotzt.

„Gute Idee!“ zischte ich zurück und musste mir ebenfalls die Pfote vor den Mund halten. „Das Sofa ist eine sehr gute Idee.“

Etwas später hielt das Auto zum Glück an und das Vibrieren, der Lärm und unser Brechreiz ließen nach. Ohne größere Umschweife wurden unsere Behältnisse in ein Haus getragen, eine Treppe hinauf und in eine Wohnung hinein.

„Da seid ihr ja“, sagte die Vegetarierstimme, die sich Bettina nannte, „ich freue mich so. Endlich wieder Katzen in der Bude.“

Ich blickte mich hektisch durch die Gitterstäbe im Zimmer um. Ah, da stand tatsächlich ein Sofa und es sah so aus, als ob mir niemand den Weg dorthin versperren würde. Ein kurzer Blick in den Nachbarkäfig bestätigte, dass meine Schwester auch bereit war, ihr Gefängnis mit einem Riesensatz zu verlassen.

Zum Glück ahnten die Menschen, dass wir schnellstens in Deckung wollten bzw. mussten, stellten die Käfige ohne weitere Umwege in der Zimmermitte ab und öffneten die Türen.

„Deckung!“ schrie meine Schwester und ich brüllte: „Los, schnell, weg!“

Ohne nach links und rechts zu sehen rannte ich so schnell ich konnte zu dem Sofa, das mir vom anderen Ende des Zimmers freundlich zulächelte. Eine schnelle Bestandsaufnahme ergab, dass darunter wenig Platz war – aber genug für eine entschlossene Katze, die auch mal auf dem Bauch rutscht, um in Deckung zu gehen. Mit einem großen, flachen Satz verschwand ich im rettenden Dunkel. Und fing fast sofort an zu husten und zu niesen, denn unter diesem Sofa nistete die größte Wollmauskolonie, die ich je gesehen hatte. Also, die größte Kolonie und die mit den größten Wollmäusen.

Wollmäuse sind für Katzen nicht gefährlich, das wusste ich. Ohne zu zaudern rutschte ich also bis nach hinten durch und kauerte mich dort zusammen.

In Sicherheit! Aber wo zum Teufel war meine Schwester geblieben? Ich hatte sie, während ich im gestreckten Galopp mein Gefängnis verließ, ebenfalls durchstarten sehen, aber wohin? Hier war sie jedenfalls nicht, ich konnte sie weder sehen noch riechen noch hören.

„Miau!“ rief ich, so laut ich konnte, „Schwester, wo steckst du?“

„Miau!“ rief es aus weiter Ferne, aber sehr energisch zurück. „Schwester, ich bin hier, unter dem Sofa! Wo bist du?“

„Unter dem Sofa!“

„Quatsch! Dann könnte ich dich ja sehen, riechen, hören und mich an dich kuscheln.“

„Das wollte ich auch gerade sagen.“

„Aber ich bin unter EINEM SOFA.“

„Hm.“ Das mochte wohl stimmen, aber…: „Dann bin ich wohl unter EINEM ANDEREN SOFA.“

„Verdammt!“

„Allerdings.“

„Was ist denn das für eine Bude, wo es mehrere Sofas gibt? Das ist doch bewusste Irreführung. Wir sollten uns beschweren! MIAU!“

„Genau. Verdammte Schlamperei hier mit einer beliebigen Anzahl von Sofas, wo sich harmlose und verängstigte Katzen plötzlich aus den Augen verlieren! MIAU!“

Ich kroch etwas weiter in Richtung Licht und Sofakante und versuchte, meine Schwester anhand ihrer wütenden Beschwerderufe zu orten. Okay, sie war etwa fünf Meter entfernt und in einem anderen Zimmer, das ich hinter einem breiten Durchgang erkennen konnte.

In der Mitte des Raumes und direkt vor dem Durchgang in das andere Zimmer standen die drei Frauen mit ihren leeren Käfigen und unterhielten sich.

„Warum kommst du nicht rüber?“ brüllte ich zu meiner Schwester hinüber.

„Ich trau mich nicht“, rief sie zurück, „komm du doch!“

„Ich trau mich auch nicht“, gab ich zu und krabbelte vorsichtig wieder etwas weiter unter das Sofa. „Wir müssen wohl warten. Aber sprich weiter mit mir, damit ich weiß, dass du da bist, sonst muss ich mich übergeben.“

„Miau!“

„Miau!“

Zum Glück hatten die drei Frauen kurz darauf ein Einsehen und Bettina brachte die beiden anderen, die uns nur kurz ein „Tschüs, macht’s gut!“ zuriefen, zur Tür. Endlich Ruhe!

„So, ihr kleinen Mäusepüppis“, sagte dann plötzlich Bettinas ruhige und einschmeichelnde Stimme. „Nun ist endlich Ruhe. Und ihr könnt euch erstmal sortieren. Ich sitze hier nur so rum.“

Sortieren? Ich zählte kurz nach. Zwei Augen, zwei Ohren, zwei Vorderpfoten, zwei Hinterpfoten, ein Schwanz. Alles, was eine Katze von Welt halt benötigt. Und nun?

„Miau?“

„Miau.“

„Wer von euch sitzt denn eigentlich unter welchem Sofa?“ fragte Bettina irgendwann, die es sich auf dem Fußboden gemütlich gemacht hatte, in der Nähe des Durchgangs zwischen den beiden Zimmern an der Wand lehnte und so tat, als würde sie ein Buch lesen.

„Miau.“

„Miau.“

„Aha“, sagte Bettina, „das hilft mir jetzt nicht. Dann muss ich eben noch weiter Mäusepüppis und Schnabelkatzis zu euch sagen, bevor ich euch mit euren neuen Namen bekannt mache. Ihr heißt nämlich jetzt Olga und Ida.“

Olga und Ida? Wer sind denn nun wieder Olga und Ida? Und wer bin ich, Olga oder Ida?

„Miau?“

„Miau?“

„Die von euch mit den blonden Strähnen und der hellen Schwanzspitze, die bisher Jolly genannt wurde (wie ein Kater), die heißt Olga.“

Aha. Ich bin Olga. Olga. Olga. Klingt gar nicht so schlecht. Und immerhin nicht wie ein Kater.

„Und die andere mit den zwei unterschiedlich gefärbten Gesichtshälften, die bisher Luisa genannt wurde, die heißt jetzt Ida.“

„Miau?“

„Miau?“

„Kennt ihr eigentlich die Operette ‚Die Fledermaus‘?“

Die Fledermaus? Was ist das denn für eine Maus? Hier sind nur Wollmäuse. Was ist ein Fleder? Und was ist eine Operette?

„Miau?“

„Miau?“

„Johann Strauß? Kennt ihr nicht? Ach ja, in Spanien heißen Operetten ja Zarzuelas. Ich habe allerdings keine Ahnung, was Fledermaus auf Spanisch heißt… könnt ihr Englisch? Oder Italienisch? Auf Italienisch heißt Fledermaus ‚Pipistrello‘ – das klingt doch lustig, oder?

Pipistrello? Das erinnerte mich an etwas.

„Miau? Also, ich meine, gibt es hier irgendwo ein Katzenklo?“

„Unterbrich mich jetzt bitte nicht. Also, in der Fledermaus, da treten die Olga und die Ida auf, wobei die Olga eigentlich Adele heißt und Hausmädchen beim Ehepaar Eisenstein ist, aber sie möchte doch so gerne auf die Party des Prinzen Orlofsky und deshalb ‚leiht“ sie sich ein Kleid ihrer Chefin und geht als Olga, berühmte Schauspielerin. Auf der Party trifft sie ihre Schwester Ida, die mit einem Notar liiert ist, aber nicht so fest, dass sie sich nicht auch nach netten Herren umsehen würde. Die beiden sind hübsch und witzig und charmant und alles würde super laufen, wenn nicht auch Adeles, also Olgas Chef und ihre verkleidete Chefin kämen… dann geht es drunter und drüber. Im dritten Akt allerdings…“

Meine Güte, ist diese Geschichte lang. Ich glaube, Olga, die berühmte Schauspielerin, braucht jetzt ein Schläfchen. Zwischen Wollmäusen oder Fledermäusen, das ist ja eigentlich egal. Hauptsache, gemütlich und niemand rückt mir auf den Pelz.

„Miau? Bist du noch da? Ich glaube, ich ruhe kurz meine Augen aus.“

„Miau. Ja, ich bin auch schon ganz müde. Bettina ist ein Eins-A-Sandmännchen.“

„… also Frosch, der betrunkene Gefängniswärter, sagt dann:
‚Was? Die Olga und die Ida?
Die waren ja noch nie da,
und jetzt san sie so früh da,
ah, da legst di nieder….‘
und dann geht zum Schluss noch alles gut aus und die Olga, also die Adele, darf zum Theater!“

Das ist ja prima, denke ich, während ich mich auf einem großen Haufen Wollmäuse zusammenrolle und mir schon die Augen zufallen. Zum Theater. Das wollte ich ja schon immer. Gleich morgen früh nach dem Aufstehen.

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