Zoom-Konferenz zwischen Hamburg und Bremen.

Vor dem aufgeklappten Laptop, auf dessen Monitor die Zoom-Oberfläche (aber sonst niemand) zu sehen ist, sitzt Frl. Leonie Mau. Sie spricht laut und deutlich in ein Smartphone, das vor ihr auf dem Tisch liegt. Aus dem Smartphone-Lautsprecher kommen wüste Flüche und das Geräusch von Katzenpfoten, die auf Tastaturen hämmern. Frl. Lotte Miez ist nirgends zu sehen.

Leo: Jehan! Jehan, hör mir zu!

Jehan aus dem Lautsprecher: So eine verdammte Scheiße, wieso klappt das denn hier wieder nicht? Wieso kann ich dich nicht sehen? Mepp!

Leo (sehr geduldig): Hast du auf den Link, den ich dir geschickt hatte, geklickt, Jehan? Was ist dann passiert?

Jehan (wütend aus dem Smartphone-Lautsprecher): Jette hat immer gesagt, ich soll nicht auf Links klicken! Blöder Mistkack!

Leo: Auf den Link, den ich dir geschickt habe, kannst du ruhig klicken, Jehan! Der ist sauber.

Jehan (misstrauisch aus dem Smartphone-Lautsprecher): Wirklich? Bist du sicher?

Leo (noch immer sehr geduldig): Ja, Jehan, ich bin sicher.

Aus dem Smartphone kommt ein Geräusch, als wenn ein sehr misstrauischer, aufgeregter weißer Kater auf einen Link klickt. Auf dem Laptop-Monitor wird ein weiterer Teilnahmer an der Zoom-Konferenz sichtbar, allerdings noch ohne Bild.

Leo (ehrlich erfreut): Da bist du ja. Sehr gut. Nun musst du nur noch die Kamera anschalten.

Jehan (verzerrt und mit Rückkopplung gleichzeitig aus dem Laptop und dem Smartphone): Die Kamera anschalten? Wie geht das denn?

Leo (das Smartphone ausschaltend und mit mütterlichem Tonfall): Da unten links ist irgendwo ein durchgestrichenes Kamera-Symbol. Da klickst du drauf! Lotti, Jehan ist da!

Auf dem Monitor erscheint tatsächlich Jehans Kachel, er starrt mit weit aufgerissenen Augen und wirrem Fell in die Kamera.

Jehan (erfreut): Leo, da bist du ja!

Leo (etwas erschöpft, aber ebenfalls erfreut): Hallo, Jehan. Schön dich zu sehen.

Außerhalb des Bildes hört man Lotti bis drei zählen, dann einen kräftigen Absprung, dann wackelt der Tisch ein wenig und Lotti stolpert ins Bild.

Jehan (hocherfreut): Fräulein Lotti!

Lotti (verlegen kichernd): Alter Wüstling.

Leo: Hamwa noch Snacks?

Jehan (stolz): Ich habe noch Hirschstreifen. Von eurer Menschin.

Leo (sehr interessiert): Hirschstreifen?

Lotti (sehr interessiert): Unsere Menschin?

Jehan (zufrieden): Jawoll.

Man richtet sich vor den Laptops in Hamburg und Bremen ein. Jehan sitzt kerzengerade und aufmerksam vor der Kamera, offenbar sehr erfreut, mal wieder mit anderen Katzen sprechen zu können.

Leo (mit ihrer allereinfühlsamsten Psychotherapeutinnenstimme): Wie geht es dir denn, Jehan? Nun ist es ja schon einen Monat her, dass Jette gestorben ist.

Jehan: Ach, es geht schon. Der Mensch kümmert sich wirklich rührend um mich und ist ganz viel zu Hause, damit ich nicht so alleine bin. Das ist schön.

Leo: Das ist schön, aber es ist nicht dasselbe. Oder?

Jehan: Nein, es ist nicht dasselbe. Wie könnte es? Jette und ich waren ja immer zusammen und nun…

Leo (taktvoll): Ja…

Lotti (etwas weniger taktvoll): Und nun?

Jehan: Ein Mensch ist toll, aber er ist nun mal keine Katze. Manchmal versteht er mich einfach nicht, obwohl er sich echt Mühe gibt. Und seine Haut ist so furchtbar dünn. Ständig blutet er, nur weil ich ihn ein bisschen angeknabbert habe…

Leo: Das ist wirklich unpraktisch.

Lotti (interessiert): Wie schmeckt der Mensch denn?

Leo (teilnahmsvoll): Da gibt es bestimmt viele Momente, in denen du Jette sehr vermisst.

Jehan (etwas zögernd): Ja, weißt du… meistens geht es. Aber wenn ich schlafe, dann träume ich immer von Jette, die ganze Zeit, und sie ist da und alles ist wie immer. So schön, wir liegen eng umschlungen auf dem Sofa, alles ist gut. Aber irgendwann wache ich dann wieder auf und wenn ich die Augen öffne, dann ist Jette weg und mir fällt wieder ein, dass sie nicht mehr da ist.

Leo: Das ist sicher nicht so einfach…

Jehan: Nein. Aber zum Glück schlafe ich ja viel und dann ist sie immer da. Und wenn ich richtig wach bin und mit dem Menschen kuschele, dann ist es auch schön. Nur diese Momente dazwischen… die sind traurig.

Jehan sieht einen Moment lang wirklich traurig und verloren aus.

Lotti (vorsichtig): Aber du wachst trotzdem immer wieder auf?

Jehan (mit fester Stimme): Natürlich. Wenn ich schlafe, kann ich ja keine Hirschstreifen essen. Und ich muss auch auf den Menschen aufpassen. Hat Jette gesagt.

Leo: Das ist wahr. Dein Mensch braucht dich. Und Jette verlässt sich darauf, dass du dich um ihn kümmerst.

Jehan (tapfer): Das mache ich. Und er kümmert sich um mich. Das ist schön.

Lotti: Wenn es dir ohne Katzengesellschaft mal langweilig wird, kannst du uns immer in Hamburg besuchen kommen.

Jehan (mit Wüstlingsstimme): Fräulein Lotti! Ist das ein Angebot?

Lotti (kichernd): Vielleicht.

Leo (augenrollend): Nehmt euch ein Sofa!

Auf dem Laptopmonitor sieht man, dass Jehan auf etwas reagiert, das nicht von der Kamera erfasst wird.

Jehan (aufgeregt): Ich muss jetzt leider Schluss machen. Der Mensch ist wach und ich muss ihn beißen. Tschüß, Fräuleins!

Jehan rennt aus dem Bild.

Lotti und Leo (enttäuscht): Wir müssen ihm wirklich beibringen, das vor der Kamera zu machen. Tschüß, Jehan, bis bald!

Leo hämmert auf die Tastatur ein, bis der Monitor dunkel wird.

 

 

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