Wahrscheinlich haben Sie – wie ich auch – das Gefühl, dass Frl. Lotte Miez und Frl. Leonie Mau schon sehr lange bei mir wohnen. Das ist aber eigentlich gar nicht so.
Die beiden Fräuleins sind im Dezember 2019 bei mir eingezogen, kurz vor dem Beginn der Pandemie. Damals ging ich sehr regelmäßig fünf Tage in der Woche zur Arbeit aus dem Haus, morgens zog ich müde los und abends kam ich müde zurück. Für die Fräuleins war das zum Glück kein Problem, sie kannten das aus ihrem vorigen Zuhause auch nicht anders.
Dann, Mitte März 2020, wurde auf einmal alles anders. Ab 17. März war ich plötzlich in diesem Homeoffice, von dem ich früher zwar schon gelegentlich gehört hatte, das aber für eine Arbeitnehmerin in einer Assistenzposition fernab jeglicher Realisierbarkeit angesiedelt war. Nur Chefs arbeiteten von zu Hause und auch das nur, wenn dafür besondere Gründe vorlagen.
Und nun waren wir plötzlich im Lockdown, bekamen in aller Eile die bisher heiligen und streng geheimen Zugangscodes zu dem Server, auf dem unsere Daten lagen, und die Bitte, uns zu Hause eine passende Software für Videokonferenzen zu installieren. Für was?
Den Katzen waren die Videokonferenzen verhältnismäßig egal – außer zu viele Accounts hatten sich nicht stummgeschaltet und erzeugten irgendwelche Rückkopplungen – aber sie fanden es ganz dufte, dass ich plötzlich durchgehend zu ihrer Bedienung, Bespaßung und Versorgung zur Verfügung stand. Zwar stand ich morgens mehr oder weniger zur üblichen Zeit auf, aber ich musste nicht mehr nach dem ersten Heißgetränk hektisch aufspringen und die Wohnung verlassen. Stattdessen holte ich mir den Laptop zum Kaffee auf das Sofa, checkte und beantwortete entspannt meine Mails und wartete auf die tägliche Abteilungsbesprechung, die meist morgens per Zoom stattfand. Anschließend verbrachte ich ein paar Stunden mit den Teilbereichen meiner Tätigkeit, die auch von zu Hause aus problemlos zu erledigen waren: Daten eingeben, Daten abgleichen, Daten verschwinden lassen. Das alles natürlich mit großzügig bemessenen Bewegungs-, Pipi- und Trinkpausen. Und regelmäßigen Gängen in die Küche natürlich, um dort die Katzenfuttertütchen durchzuzählen und zu überprüfen, ob vielleicht welche in die Nähe des Mindesthaltbarkeitsdatums gekommen sein könnten. Diese mussten dann selbstverständlich umgehend und in großer Selbstlosigkeit von den Fräuleins verzehrt werden.
Der zunächst auf zwei Wochen begrenzte Lockdown, Sie erinnern sich, wurde wieder und wieder verlängert, bis irgendwann im Mai die erste Welle der Corona-Infektionen in Deutschland allmählich abebbte. Nur dass wir damals noch nicht in Wellen dachten, sondern: Ah, ist die Scheiße endlich vorbei.
Trotz der wieder – vor allem aus heutiger Sicht – sehr moderaten Neuinfektionszahlen war es mir recht mulmig, als unsere Chefs beschlossen, dass wir ab Anfang Juni wieder ins Büro zurückkehren sollten. Natürlich mit Abstands- und Hygienekonzept, aber in einem Bereich mit lauter Einzelbüros war das ja kein Problem. Ich verbrachte einen sehr vorsichtigen Monat mit so wenig Anwesenheit wie möglich im Büro, bis dann endlich die Theaterferien begannen.
Im Verlauf dieser sechs Wochen beschlossen die Fräuleins und ich ja dann, dass ich meinen Job kündigen und etwas anderes machen muss. Gesagt, getan. Ich kündigte direkt nach dem Urlaub im August und durfte dann im Einvernehmen mit meinem Arbeitgeber zum Dezember tatsächlich gehen – die unanständig lange gesetzliche Kündigungsfrist hätte tatsächlich bis Ende März 2021 gedauert. Von August bis Ende November hatte ich zum Glück noch sehr viele Überstunden abzubummeln, so dass ich an den allermeisten Tagen nur von 10 bis 15 Uhr im Büro sein musste. Das fanden die Katzen ganz in Ordnung – fünf Stunden ohne Essen gehen gerade noch so, sagten sie.
Ab Dezember 2020 bestand unser Leben dann plötzlich hauptsächlich aus großzügig bemessenen Bewegungs-, Pipi-, Trink- und Tütchenpausen. Ich würde sagen, dass die Katzen sich daran tatsächlich schneller gewöhnten als ich. Mir kam es doch sehr ungewohnt vor, länger als sechs Wochen morgens nicht aufstehen zu müssen, nirgendwo hingehen zu müssen. Aber so war es: Inzwischen tobte die zweite Welle, ich begann mein Fernstudium für den Heilpraktiker für Psychotherapie, während der Beginn der Präsenzausbildung zur Trauerbegleiterin immer weiter verschoben wurde. Unter größten Sicherheitsvorkehrungen fand eine Trauergruppe im Hamburger Hospiz statt, bei der ich hospitieren durfte: Bei offener Tür im Nebenraum sitzend, für das regelmäßige Lüften zuständig (womit man sich im Winter nicht unbedingt beliebt macht) und ohne die Maske auch nur einmal abzusetzen. Um und bei war ich für diese Gruppe einmal in der Woche für fünf Stunden außer Haus – und das waren, von gelegentlichen Besuchen in Bremen abgesehen, auch schon die längsten Abwesenheiten von zu Hause und den Fräuleins.
Die Fräuleins waren entzückt. Frl. Leonie Mau hatte inzwischen ein gewisses Interesse an Videokonferenzen entwickelt und lief bei jeder Sitzung mindestens einmal durchs Bild, um auch Uneingeweihten zu zeigen, wie eine Katze von hinten aussieht. Frl. Lotti blieb im Allgemeinen unsichtbar, lag aber meist direkt neben dem Schreibtisch auf dem Gästesofa und hielt sich, ein Nickerchen vortäuschend, auf dem Laufenden über das Weltgeschehen. Beide gewöhnten sich daran, mich bei jedem Gang in die Küche zu begleiten und dort ein- und aufdringlich darauf hinzuweisen, dass ihre Futterschälchen so gut wie leer waren. Ich gewöhnte mich daran, die Futterschälchen rund um die Uhr und vor allem vor Telefonaten und Videokonferenzen aufzufüllen, unabhängig davon, ob die letzte Mahlzeit erst 37 Minuten zurücklag.
Aus Katzensicht war es ein wunderbares Jahr und was soll ich Ihnen sagen: Ich fand es auch gar nicht so übel. Immer kleine flauschige Therapiekatzen zur Hand zu haben, hat durchaus seine Vorteile. Corona wogte so vor sich hin, vor und zurück, und wir hatten es gemütlich auf unseren Sofas. Bis es dann plötzlich wieder ernster wurde mit dem Arbeiten außer Haus: Ab November/Dezember 2021 durfte ich ja am Hospiz nicht nur die wöchentliche Trauergruppe moderieren, sondern auch die Website für das neue Hospiz am Deich erstellen. Dafür hatte ich auf einmal wieder mehr Termine, so richtige, live und in Farbe. Und ab Mitte Februar war ich dann plötzlich fest angestellt, in Vollzeit, für zwei verschiedene Standorte, die beide nicht meine Wohnung sind.
Und die Katzen so: Hä? Wieso steht denn die Frau morgens immer auf und geht weg? Wer soll uns denn dann füttern?
Und ich so: Tja. Erinnert ihr euch noch an früher?
Und die Katzen so: Welches Früher?
War ja klar. Ebenfalls klar war, dass ich sechs Wochen nach Beginn meiner neuen Berufstätigkeit erstmal Corona kriege und wieder mal zwei Wochen nur zu Hause bin.
Und die Katzen so: Siehste.
Und ich so: Seufz.
Na ja. Nun bin ich wieder virenfrei, hoffentlich langfristig, und gehe fünfmal pro Woche zum Arbeiten in ein Büro oder zu anderen Ortsterminen. Aber meistens in das eine Büro, denn der andere Standort ist ja noch nicht fertig. Die Katzen kommen spielend zurecht, auch wenn sie das niemals zugeben würden. Selbstverständlich könnten sie sich ihre Tütchen selbst öffnen, wenn sie nur wollten, und außerdem wissen sie inzwischen sehr genau, wie man mit dem Smartphone Essen bestellt, eine Videokonferenz startet oder den Rauchmelder auslöst. Was soll also schon passieren?
Danke für den sehr unterhaltsamen Bericht und überhaupt über Deine Twitter-Meldungen über die Fräuleins. Wir sind hier „Katzenverwitwet“ und so erfreue ich mich an den beiden Hübschen und ihren häuslichen Abenteuern!
Herzliche Grüße aus Köln
SuSa