Nachts, wenn alles schläft. Fast alles.

Mit einem Ruck schrecke ich aus dem Schlaf. Was ist passiert? Ich lausche angestrengt und versuche, mich zu orientieren. Mein Atem normalisiert sich nach einigen bewussten langsamen Atemzügen. Ich liege in meinem Bett, offenbar korrekt in Fahrtrichtung. Es ist ganz still im Schlafzimmer und im ganzen Haus. Da ich mit dem Gesicht zur Wand liege, kann ich weder den stehengebliebenen Wecker auf dem Nachttisch noch das Display meines Smartphones sehen, aber es ist dunkel und still, also mitten in der Nacht.

Ich horche kurz in mich rein. Die Blase sagt nichts, sie war es also nicht, die mich geweckt hat.

Warum bin ich wach?

„Du bist eine blöde Kuh!“, sagt plötzlich eine Stimme, nicht weit entfernt.

Ich habe doch gar nichts gemacht, will ich empört erwidern, aber da antwortet schon eine andere Stimme, auch ganz in der Nähe: „Selber. Weggegangen, Platz vergangen.“

„Ich musste nur schnell etwas Gras fressen und kotzen“, sagt die erste Stimme wütend. „Das ist kein Grund, sich einfach in mein warmes Bett zu legen und mich nicht mehr reinzulassen.“

Gras fressen und kotzen? Das erinnert mich an… ah, Katzen. Meine Katzen. Aber seit wann unterhalten die sich im Dunkeln in meiner Sprache?

„Das ist sogar ein sehr guter Grund“, sagt die zweite Stimme mit Nachdruck und ich bemerke, dass die zu dieser Stimme gehörende Katze nur wenige Zentimeter von meiner Nasenspitze entfernt neben mir im Bett sitzt. Gemütlich auf dem kuscheligen Schal neben meinem Kopfkissen, der offiziell als Katzenschlafplatz ausgewiesen ist. „Und außerdem hast du schon die letzten beiden Nächte hier verbracht. Jetzt bin ich mal wieder dran.“

„Es waren sogar drei Nächte in Folge“, verbessert sie die erste Stimme, „und daraus kann man doch wohl ganz klar ein Gewohnheitsrecht ableiten!“

„Quatsch!“, ruft die zweite Stimme, während sich die anhängende Katze rein prophylaktisch mit allen ihren Krallen in den kuscheligen Schal und meine Bettdecke einhakt. „Ein Gewohnheitsrecht ist hier nicht vorgesehen. Wir schlafen abwechselnd neben der Frau im Bett. Die von uns, die gerade nicht dran ist, kann auf dem Saunahandtuch am Fußende liegen, wenn es unbedingt sein muss, oder sie übernachtet im Wohnzimmer. Und in der nächsten Nacht wird getauscht.“

„Du hast wohl das Kleingedruckte im Miezvertrag nicht gelesen?“, schimpft die erste Stimme. „Da steht ganz klar, dass die Schnellere von uns gewinnt.“

„Da steht aber auch“, gibt die zweite Stimme zurück, „dass es nicht zulässig ist, den Platz zu verlassen und mit einem Handtuch zu reservieren. Oder mit ausgekotztem Katzengras!“

Die Fronten scheinen verhärtet. Ich drehe mich vorsichtig im Bett um und sehe, dass die zur ersten Stimme gehörende Katze verärgert und aufgeplustert in der Tür steht. Wütend beobachtet sie die zur zweiten Stimme gehörende Katze, die erstens ihre Schwester ist und zweitens recht behaglich aussieht, wie sie sich da in den kuscheligen Schal eingerollt hat.

„Könnt ihr das nicht morgen früh diskutieren?“, frage ich in einen Moment der Stille hinein. „Ich bin müde und habe einen anstrengenden Tag vor mir. Ich würde gerne weiterschlafen.“

„Ich würde das gerne jetzt abschließend klären“, sagt die erste Stimme/Katze.

„Seit wann sprichst du eigentlich unsere Sprache?“, fragt die zweite Stimme/Katze.

„Weiß ich auch nicht“, erwidere ich. „Und es ist mir auch egal. Von mir aus könnt ihr gerne beide mit mir im Bett schlafen!“

„Auf gar keinen Fall!“, rufen beide Stimmen/Katzen wie aus einem Mund.

„Mit der blöden Kuh schlafe ich nicht in einem Bett!“, ruft die erste Stimme. „Sie macht sich immer so breit und außerdem schnarcht sie.“

„Dafür pupst du immer!“, beschuldigt sie die zweite Stimme.

„Ich pupse auch oft nachts“, gebe ich zu bedenken, „und trotzdem willst du bei mir schlafen?“

„Vegetarierpupse stinken ja nicht“, beruhigt mich die zweite Stimme/Katze, die sich weiterhin an den Betttextilien festkrallt und nicht den Eindruck macht, als würde sie nachgeben wollen. „Im Gegensatz zu den Carnivoren-Pupsen meiner Schwester.“

Die erste Stimme/Katze schüttelt nur wütend den Kopf, aber offenbar fällt ihr keine gute Erwiderung ein. Also marschiert sie hocherhobenen Hauptes am Bett, ihrer Schwester und mir vorbei und springt auf die Fensterbank.

„Oh mein Gott, was ist das nur für eine fette Taube!“, hören wir sie plötzlich rufen. „Und so nah. Fast könnte ich sie greifen.“

Nun steht auch die zweite Stimme/Katze senkrecht im Bett.

„Eine Taube? Wo?“

„Gleich hier vorne!“, ruft die erste Stimme hinter der Gardine. „Boah, ist die fett. Die hat bestimmt eine Million Kalorien. Und ist zum Greifen nah.“

„Fass sie nicht an!“, schreit die zweite Stimme/Katze aufgeregt und wickelt sich eiligst aus dem Schal aus. „Sie gehört mir!“

Und schon ist sie vom Bett gehechtet und springt mit einem riesigen Satz auf die Fensterbank.

„Aus dem Weg!“

„Sehr gerne“, antwortet die erste Katze, gleitet elegant von der Fensterbank und hopst zu mir ins Bett, wo sie sich in Windeseile auf dem kuscheligen Schal zusammenrollt. „Und nun bitte Ruhe hier, damit wir endlich schlafen können.“

Etwas erschöpft schließe ich die Augen und ignoriere die Geräusche von der Fensterbank, die so klingen, als würde eine dickliche Katze wiederholt gegen die Scheibe springen. Neben mir schnarcht es schon gemütlich und eventuell hat auch gerade eine kleine Carnivorin dezent gepupst. Aber das ist jetzt auch egal, wir wollen doch schlafen.

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