Können Sie sich noch an die Zeit erinnern, in der das Internet nicht von Reichen und Mächtigen kontrolliert wurde? Ich nicht. Wenn es diese Zeit gab, in der die globale Vernetzung verschiedener Einzelrechner und vorwiegend universitätseigener Micro-Netzwerke noch in erster Linie zu Lehr- und Forschungszwecken genutzt wurde (abgesehen von streng geheimer militärischer Nutzung, versteht sich), dann fand sie deutlich vor der Zeit statt, in der ich meinen ersten Kontakt mit einem ausrangierten IBM PC (mit einer Festplatte, deren Kapazität kleiner war als die eines Amöbenhirns) und eines 56k-Modems hatte.
Meine ersten Besuche im Internet erfolgten Anfang der 90er Jahre über einen Gastzugang des Telefonanschlusses meines Vaters. Das damalige Onlineangebot war entstanden aus dem Bildschirmtext, der von den meisten Menschen über ihr Fernsehgerät abgerufen wurde, von uns Pionieren aber eben über unsere Personal Computer. Für viel Geld, versteht sich. Zur monatlichen Grundgebühr kam ein Minutentakt, der es, ähnlich wie Ferngespräche über dieselbe Telefonleitung, in sich hatte. Dafür kam man auf einige wenige, statische, langweilige Seiten weitgehend ohne Interaktionsmöglichkeit … eben Bildschirmtext. Wer noch weiter in dieses Internet eindringen wollte, musste sich von der BTX-Oberfläche aus mit einem neuartigen Zugangsprogramm, das Browser genannt wurde, noch einmal einwählen (das fühlte sich ungefähr so an, als würde man ins Darknet gehen, oder noch verwegener). Und noch mehr Gebühren akzeptieren. Wenn sich die Verbindung aufbauen ließ – was nicht immer der Fall war – landete man im einzig wahren Internet. Das aus sehr vielen statischen, langweiligen Seiten weitgehend ohne Interaktionsmöglichkeit bestand.
Als dann ein paar Jahre später die Preise für die Datenübertragung sanken, wurde das Internet bunter, aufwendiger und kommerzieller. Alles, was die Arbeit am PC günstiger, einfacher und effektiver machte, wurde vielleicht von kleinen unabhängigen Tüftlern und Startups erfunden und eingeführt, dann aber meist schnell an die großen Software- und Internetkonzerne wie Microsoft, Apple und Google verkauft. Ob wir, die kleinen, unbedeutenden Nutzer, das nun moralisch verwerflich fanden oder nicht.
Finde ich es toll, wie Microsoft alle kleineren Konkurrenten vom Markt verdrängt? Nein, aber komme ich deswegen ohne Windows und ohne Office-Anwendungen aus? Privat vielleicht, im Job nicht – und wenn ich den Kram im Job nutzen muss, dann nutze ihn ich aus Kompatibilitätsgründen halt auch zu Hause. Finde ich es klasse, von Google bespitzelt zu werden? Theoretisch nicht, aber praktisch nutze ich diesen Dienst und die vielen kleinen Features täglich mehrfach … und ich möchte diese Annehmlichkeiten auch nicht missen.
Und was ist mit den Sozialen Medien? Gut, Facebook ist out, das lassen wir den Idioten. Instagram ist zu bildlastig, zu gefiltert und erlaubt weder klickbare Links in Beiträgen noch Retweets, das entspricht privat nicht meinen Anforderungen. TikTok habe ich gar nicht erst installiert, ebensowenig Snapchat. Das Leben ist so schon vergänglich genug.
Das Soziale Medium meiner Wahl ist Twitter. Twitter geht schnell, erlaubt Bilder und Links und Retweets. Twitter ist textlastig und damit in meinen Augen am wenigsten interessant für kommerzielle Nutzung. Zwar gab und gibt es zu viele gesponserte Tweets, also Werbung, aber die ist nicht auffälliger als unsere normalen Tweets und somit schnell überscrollt. Das Beste an Twitter aber sind die Nutzer, zumindest die überwiegende Anzahl. Diese zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie lesen und schreiben kann. Wer nur mit Bildern und Emojis kommunizieren möchte, tut das normalerweise nicht auf Twitter.
Twitter hat Regeln, die das Miteinander betreffen. Es ist möglich (wenn auch nicht unbedingt einfach), sich gegen Rassismus, Hetze und Übergriffe zu wehren, indem man sie meldet. Twitter erlaubt es auch, andere Nutzer individuell zu blockieren oder Inhalte bzw. Schlagwörter stummzuschalten. Was auf Twitter, zumindest in Ländern mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, nicht zum Standardprogramm gehört, ist Zensur. Inhalte werden nicht von geheimnisvollen Algorithmen, auf die die Nutzer keinen Einfluss haben, unterdrückt (jedoch, so hört man, gelegentlich Nutzer, die unangenehm aufgefallen sind).
War bisher alles perfekt auf Twitter? Keineswegs. Und trotzdem, so sage ich, ist Twitter – zumindest noch – die für mich beste und passendste aller Social Media-Plattformen. Ich spreche hier auch im Namen der Katzen, meiner und auch vieler anderer Katzen, da bin ich sicher. Auch sie befinden sich – im sogenannten wirklichen Leben wie auch im virtuellen – nämlich lieber in guter, empathischer, anregender und intelligenter Gesellschaft als auf herzlosen Hochglanz-Seiten.
Katzen sind eigensinnig und halten gerne an Gewohntem fest. So auch ich, zumindest in diesen Zusammenhängen. Ich liebe meine Twitter-Filterblase. Ich mag ein sauberes Design und eine mobile App, die nach Jahren der Weiterentwicklung doch sehr zuverlässig funktioniert, vor allem angesichts der Tatsache, das Twitter nichts kostet (da ich noch nie auf einen Link in einem gesponserten Tweet geklickt habe, zahle ich auch keine versteckten Gebühren).
Okay, nun hat ein reiches Ekel Twitter für eine unvorstellbare Summe gekauft. Muss ich das gut finden? Natürlich nicht. Niemand sollte so unanständig viel Geld besitzen oder ausgeben. Muss ich aber deswegen Twitter sofort verlassen und mich – endlich mal wieder – auf irgendeiner Nischen-Plattform mit dezentraler Struktur, garantiert unkommerziell für immer und ewig und durchweht vom Geiste der freien Meinungsäußerung sowie selbstverständlich des achtsamen Umgangs miteinander, anmelden? Muss ich wirklich? Kann ich nicht vielleicht wenigstens noch kurz abwarten, ob das reiche Ekel Twitter tatsächlich zu seinem Nachteil verändert?
Ich habe so eine Aufbruchsstimmung schon einige Male miterlebt bzw. mitgemacht in den letzten Jahren. Ello gab es da mal und Quitter. Und? Rauschen im Walde. Und nun also Mastodon, was nichts mit Mastgans oder Mastdarm zu tun hat, sondern mit vorzeitlichen Mammuts. Schon allein der Anmeldevorgang mit der notwendigen Entscheidung für eine „Instanz“ klingt so mühsam, dass ich das nicht einmal zum Spaß ausprobieren möchte.
Und außerdem: Wenn wir alle, die Katzen und ihre An- und Zugehörigen, Twitter verlassen, überlassen wir dann nicht den Deppen das Feld? Ohne jeden Widerstand? Warum sollten wir das tun? Dadurch wächst doch nur der Anteil der Idioten unter den Nutzern. Wäre das nicht unklug?
Ich sag Ihnen was: Ich werde mich jetzt und in dieser Situation nicht bei Mastodon anmelden. Ich bleibe bei Twitter und schaue mal, was passiert. Hoffe, meine Bubble nicht aus den Augen zu verlieren. Die Fräuleins sagen das auch: Hier wissen sie, wo das Katzenklo steht und in welcher Schublade die Leckerlis eingesperrt sind. Sie wollen sich nicht umgewöhnen müssen, denn das hier, Twitter mit allen seinen Unperfektheiten, das ist ihre und meine virtuelle Heimat. Und die geben wir nicht einfach so auf.
ganz genahu sO sehen wir das ahuch