Vierte Welle? Ich möchte das nicht.

Darf ich Ihnen was anvertrauen? Eine tolle Neuigkeit? Ja? Schön, vielen Dank. Also: Nach zwei Hospitationen bei den Trauergruppen im Hospiz im Winter und im Frühjahr darf ich nun selbst eine Gruppe moderieren. Ist das nicht aufregend? Ich finde es aufregend, sehr sogar. In zwei Wochen geht es los. Mitte August bis Anfang November, live und in Farbe. Vorausgesetzt, die Pandemie lässt uns.

Auch wenn die Ausbildung zur Trauerbegleiterin noch läuft, bin ich gut vorbereitet (hoffe ich), darf mir bei den beiden Moderatorinnen, bei denen ich hospitiert habe, immer Rat holen und werde engmaschig von der Leiterin der Abteilung Trauerarbeit betreut, so dass eigentlich nichts schiefgehen kann. Außer natürlich, die Pandemie schlägt zu

Leider haben wir nur eine begrenzte Anzahl Teilnehmer*innen zu den beiden parallel stattfindenden Gruppen im Herbst zulassen können, so dass die Warteliste noch immer gut gefüllt ist. Aber ein wichtiger Bestandteil des seitenlangen Hygienekonzepts ist selbstverständlich, unsere Räumlichkeiten nicht zu überfüllen, sondern dafür zu sorgen, dass genügend Luftraum und Abstand vorhanden sind. Trotzdem werden wir natürlich viel lüften müssen und das kleine Luftreinigungsgerät, das wir im letzten Winter liebevoll R2D2 getauft haben, kommt auch wieder zum Einsatz. Die meisten Teilnehmer*innen sind bereits vollständig geimpft bzw. genesen, die anderen lassen sich vor jedem Gruppentermin testen. Auch haben wir mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass niemand mit Erkältungssymptomen etc. ins Haus gelassen wird. Nach bisherigem Stand müssen wir unsere Masken tragen, bis wir unsere Plätze eingenommen haben, dann dürfen sie abgenommen werden. Vorausgesetzt, die Pandemie macht uns nicht wieder einen Strich durch die Rechnung.

Neun Gruppentreffen mit Moderation im Hospiz, dazwischen schon drei selbstorganisierte Termine ohne Moderatorin. Zur Übung, denn aus der moderierten Gruppe soll ja eine Selbsthilfegruppe werden, die sich dann im Anschluss selbstorganisiert auch weiterhin trifft. Vorausgesetzt, auch im November sind noch Gruppentreffen möglich, idealerweise auch an privaten Orten. Und nicht, pandemiebedingt, illegal.

Ich freue mich sehr auf die Gruppe, aber ich mache mir auch Sorgen. Wie wir alle wissen, steigen die Neuinfektionszahlen und die Zahl der täglich durchgeführten Impfungen sinkt. Hamburg war ja lange gut mit der Inzidenz, im Moment liegen wir aber an der Spitze der Tabelle im Vergleich mit den anderen Bundesländern. Und die Verdoppelungszeit wird kürzer.

Ob es jetzt im Hinblick auf die Inzidenzen, die Krankenhaus-Einweisungs- und die Todeszahlen ermutigend ist, dass sich vollständig Geimpfte weitaus seltener mit dem Virus infizieren und, wenn sie es denn doch tun, auch weitaus weniger ansteckend sind als ungeimpfte Personen, sehe ich ja eher mit einem leisen Zweifel. Denn es stecken sich ja Menschen an, gar nicht so wenig Menschen, und wenn das, weil Impfdurchbrüche ja eher selten vorkommen (selten aber nicht nie, das heißt, diese Erkenntnisse ist statistisch betrachtet eine Beruhigung, aber nicht unbedingt für bisher schon über 7.000 Betroffene, von denen knapp 10% einen schweren Verlauf erleben mussten), nicht die Geimpften sind, dann ist die Größe des Anteils derer, die doch einen schweren Verlauf bekommen, doch völlig unabhängig davon, dass mit Glück die Hälfte der Bevölkerung bereits vollständig geimpft ist.

Eine senkende Wirkung auf den Prozentsatz der Infizierten, die mit einem schweren Verlauf rechnen müssen, hat also eher die Alterszusammensetzung der Infizierten-Gruppe. Es infizieren sich im Moment überwiegend jüngere Menschen, die werden oft nicht schwer krank. Allerdings, so las ich gerade wieder, bekommen einige von ihnen auch nach milden Verläufen trotzdem Long Covid – und davon haben die Jungen möglicherweise ja noch viel länger was als wir Alten. Dazu kommt, dass viele junge Menschen – auch wenn sie noch nicht geimpft sind – sehr viel weniger Angst vor Kontakten haben als wir alten Schisser. Im Gegenteil, sie treffen sich freiwillig in großen Gruppen zwecks gemeinsamer Freizeitgestaltung, und jetzt im Sommer auch durchaus häufig. Dass bei diesem Feiern, unabhängig davon ob sie drinnen oder draußen stattfinden, auch Infektionen weitergereicht werden, ist bereits hinlänglich nachgewiesen. Und weil die jungen Menschen ja häufig keine Symptome bekommen, gehen sie vielleicht auch mit ihrer Infektion weiter unter Menschen, damit die Übertragungskette nicht zu schnell unterbrochen wird. Warum genau ist der R-Wert in letzter Zeit nicht mehr so richtig populär?

Übrigens treffen die jungen Leute in den allermeisten Fällen irgendwann auch wieder auf ältere Leute. Vielleicht nicht unbedingt beim wilden Feiern in und vor Cocktailbars oder nachts auf der Stadtparkwiese, aber zum Beispiel bei der Arbeit, im öffentlichen Nahverkehr, bei familiären Aktivitäten und und und. Und auch da übertragen sie ihre Infektion, wenn man sie lässt. Gerade heute las ich irgendwo, es sei erwiesen, dass eine große Anzahl von Infizierten in den jüngeren Altersgruppen über kurz oder lang auch zu mehr Infektionen bei den älteren Menschen führt.

Haben Sie das aus England mit den Versorgungsengpässen aufgrund der „Pingdemic“ gehört? „Pingdemic“ ist ein Wortspiel, das die schönen Worte „Pandemic“ und „Ping“ miteinander verschmilzt. „Ping“ ist der englische Standard-Benachrichtigungston, den die Corona-App macht, wenn sie Ihnen mitteilen möchte, dass Sie Kontakt mit Infizierten hatten und sich bitte umgehend in Quarantäne begeben sollen. Es pingte wohl sehr oft in den letzten Wochen, es sollen ca. 1,7 Millionen Menschen zeitgleich in Quarantäne gewesen sein, überwiegend berufstätige Menschen, die dann überall im öffentlichen Leben fehlten und zum Beispiel keine Supermarktregale auffüllten und keinen Müll abholten.

Das wäre hier auch ganz schön unpraktisch, glaube ich. Niemand möchte gerne in Quarantäne geschickt werden. Das wiederum hat zur Folge, dass einige Menschen, auch wenn sie wegen eines möglichen Kontakts von offizieller Stelle zum Test aufgefordert werden, diesen verweigern (indem sie einfach nicht beim Reihentest auftauchen) und sich schon gar nicht freiwillig melden, wenn man ihnen nicht nachweisen kann, dass sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren. Wozu führt das? Richtig. Zur Weiterverbreitung möglicher Infektionen durch Unsymptomatische, die nicht in Quarantäne geschickt werden wollen.

Was sagen Sie? Von Kindern und Reiserückkehrern haben wir noch gar nicht gesprochen? Stimmt. Werden wir auch nicht. Zu deprimierend. Sie wissen ja auch so, worauf ich hinaus will.

Genau: Ich mache mir Sorgen, dass die vierte Welle und Delta uns eher früher als später wieder das Leben schwer machen werden. Und das, während ich meine Trauergruppe so gut wie möglich moderieren möchte. Seufz.

Natürlich wurden die potenziellen Teilnehmer*innen schon vor der Anmeldung darüber informiert, dass wir die Gruppen, falls wir sie aus Pandemie-Gründen nicht mehr in Präsenz durchführen können, als Videokonferenz-Gruppe weiterführen werden. Sie haben dem alle zugestimmt, aber wünschen tut sich das natürlich niemand. Die Gruppenarbeit funktioniert erstaunlich gut über Videokonferenz, aber es ist so viel schöner, miteinander im Kreis zu sitzen und einfach so auch körperlich Teil der Gruppe zu sein.

Also, Daumendrücken und so. Und weiterhin vorsichtig sein bitte. Stecken Sie sich nicht an, dann können sie die Infektion auch nicht weiterverbreiten. Das wäre doch für uns alle das Beste, oder?

1 Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.