Von Dithmarschen nach Oberneuland. Die Geschichte von Jette und Jehan. Teil 1.

Hören und lesen wir nicht alle gerne Erfolgsgeschichten? Zumindest wenn diese von Personen kommen, die ihren Erfolg nicht hinterhergeworfen bekamen, sondern ihn sich mühsam erarbeiten oder hart erkämpfen müssen? Die schlechte Ausgangsbedingungen und eine ungünstige Prognose hinter sich gelassen haben, sich ihren Platz in der Welt sichern konnten und dabei kein bisschen arrogant oder unempathisch wurden, sondern ganz ihr liebenswertes, bescheidenes Selbst geblieben sind.

Sie ahnen es: Ich spreche von Katzen. Katzen im Allgemeinen und Katzen im Besonderen. Besonders von zwei weißen Bremer Katzen, also eigentlich vor allem von einer weißen Bremer Katze: von Jette.

Jette, die mit ihrem Bruder Jehan (und möglicherweise weiteren Geschwistern, deren Spuren aber verloren gingen) im ländlichen Dithmarschen geboren wurde und dort auch die ersten Jahre ihres Lebens verbrachte. Wir wissen nicht allzu viel über diese Zeit, fest steht nur, dass die gutmütige, aber clevere und entschlossene Jette ihre Ausbildung auf der Schule für höhere Töchter abbrach, um eine Lehre als Krankenschwester zu machen und so möglichst bald ihrem mindestens ebenso gutmütigen, aber etwas introvertierten und schüchternen (manche würden sagen: lebensuntüchtigen) Bruder Jehan sein Medizinstudium zu ermöglichen. Eigentlich hatte Jette selbst Ärztin werden wollen, aber ihr war klar, dass der psychisch zeitweilig etwas labile Bruder Struktur in seinem Leben brauchte, während sie selbst sicher war, flexibel genug zu sein, um aus jeder Situation das Bestmögliche herauszuholen.

Und so kam es, dass Jehan nach einigen strebsamen Jahren an der Fernuniversität von Meppen promovieren konnte, während Jette meist mehrere Schichten täglich im nahegelegenen Kreiskrankenhaus schuftete, um seine Studiengebühren aufbringen zu können. Seine Doktorarbeit ist leider nur in Auszügen erhalten, der Titel „Die Wirkung von Mepptoiden auf Hirnanhangdrüse und Wurmfortsatz im Spiegel veränderlicher Mepptonin- und Antimeppgaben im Klinikalltag“ lässt aber Großes vermuten. Jedenfalls durfte sich Jehan im Anschluss Dr. med. mepp. Jehan Jehanski nennen.

Jette war mit dieser Entwicklung sehr zufrieden, hatte sie doch mittlerweile ein weiteres berufliches Standbein entwickelt: Medikamentenhandel. Zunächst in sehr bescheidenem Umfang, aber schon bald konnte sie 80% der Katzen in der Umgebung von Meldorf sehr zuverlässig und regelmäßig mit Katzenminze und Baldrian versorgen. Dr. med. mepp. Jehanski als stiller Teilhaber des Unternehmens war nicht besonders aktiv, verlieh dem Ganzen aber einen unbestreitbaren Anstrich von Seriosität.

Über das Privatleben der beiden Geschwister zu dieser Zeit ist wenig bekannt, eigentlich wissen wir nur, dass sie im Haus einer alten Dame lebten, wo sie nach und nach mehrere ehemalige Streunerkatzen hatten unterbringen können, die sie für Handlanger-Tätigkeiten eingestellt hatten. Wir wissen nicht, was mit der alten Dame geschah, aber sie verschwand irgendwann aus dem Haus und alle Katzen wurden von der Polizei festgenommen und gegen ihren Willen nach Hamburg verfrachtet, wo sie in einem kleinen Tierheim eine vorübergehende Notunterkunft fanden. Jette war empört und bereute kurzfristig heftig, dass sie die Liaison mit Dr. jur. Mikesch, einem höchst erfolgreichen Anwalt für Strafrecht, im vorigen Jahr abgebrochen hatte, weil Dr. jur. Mikesch darauf bestand, auch im Bett und auf dem Sofa mit seinem vollen Titel angesprochen zu werden.

Eine kurze, aber schwierige Zeit begann: Jehan vertrug das unruhige Leben im Tierheim nicht gut, er zog sich zurück und wollte nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Stumm und traurig saß er auf einem Regal und ließ sich kaum einmal zu einem kurzen „Mepp!“ verleiten. Jette machte sich große Sorgen um ihn. Gleichzeitig langweilte sie sich sehr, sie hatte nur wenig Kontakt zu anderen Katzen, kein Internet und kaum Beschäftigungsmöglichkeiten. Sie bemerkte selbst, dass sie viel aggressiver war als sonst, konnte aber nicht wirklich viel dagegen tun. Das hatte eventuell auch damit zu tun, dass ihr Bruder und sie von der Tierheimleitung als „Seniorenkatzen“ eingestuft worden waren. Und dabei fühlte sie sich fit wie ein junges Kätzchen und in der Blüte ihres Lebens!

Nach einigen missglückten Vermittlungsversuchen – Jette trug mittlerweile den Beinamen „Die aus der Tonne kratzt“ – wurde dann aber doch alles gut: Ein großer freundlicher Mann kam mehrere Tage in Folge, redete stundenlang ruhig auf den vor Schreck paralysierten Jehan ein und ließ sich von Jettes Versuchen, ihm die Hand abzuhacken und die Augen auszukratzen, nicht beeindrucken. Im Gegenteil, er fragte die beiden, ob sie vielleicht zu ihm ziehen wollten.

Alles ist besser als dieses Tierheim, dachte sich Jette, und kratzte dem großen freundlichen Mann ein deutliches Ja auf den Handrücken. So kam es, dass die beiden weißen Dithmarscher Katzen in eine kleine Wohnung auf St. Pauli zogen, zu dem großen freundlichen Mann. Die Wohnung war ganz in Ordnung, stellten sie fest, es gab ein Bett, unter das man sich zurückziehen konnte, und ein gemütliches Sofa, auf dem man liegen konnte. Oder man legte sich direkt auf den großen freundlichen Mann, der seinerseits auf dem Sofa lag.

Eine wirklich wunderbare Entdeckung machte Jette bei einem ihrer ersten Erkundungsgänge durch die neue Wohnung: In einer Ecke hinter dem Sofa fand sie das Vermächtnis der Sina: Eine Plastiktüte mit verschiedenen verschreibungspflichtigen Medikamenten für Katzen. Sina, so erfuhr sie, nachdem sie sich in den Computer des großen freundlichen Mannes gehackt und seine Aufzeichnungen gelesen und Fotos ausgewertet hatte, war eine Katze gewesen, die einige Zeit zuvor in dieser Wohnung gelebt hatte. Sie hatte gegen Ende ihres Lebens starke Medikamente nehmen müssen und dabei immer mal die eine oder andere Tablette aufgespart. So hatte sie längerfristig ein richtiges kleines Lager angelegt.

Jette war entzückt. Verschreibungspflichtige Drogen. In ausreichender Menge. Stabiles WLAN und eine dicht besiedelte Gegend. Es dauerte nicht lange, bis sie ihr Geschäft aufgezogen hatte und durch cleveres Einkaufen im Darknet, geschickte Täusche in der Nachbarschaft und kluge Lagerverkäufe bei ebay Kleinanzeigen ein kleines Imperium aufgebaut hatte, das etwa 75% der Katzenschaft von St. Pauli mit Drogen aller Art versorgen konnte. Jehan lieferte diese mit dem Moped in den umliegenden Straßen aus, wenn er nicht als Dr. med. mepp. Jehan Jehanski telefonische Beratungen machte oder Videosprechstunden abhielt.

Der große freundliche Mann ahnte nichts. Wohl wunderte er sich manchmal darüber, dass Jette schon wieder neue Schuhe trug, die echt teuer aussahen, aber wenn sie sagte, das seien Schnäppchen gewesen und sie habe auch noch Rabatt bekommen, weil sie ja zwei Paare, für vorne und für hinten, kaufte, dann glaubte er ihr natürlich. Denn niemand konnte und kann so unschuldig aussehen wie Schwester Jette.

Es lief alles großartig – bis eines Tages ein ziemlich ungemütlicher Rottweiler vor der Tür stand, während der große freundliche Mann nicht zu Hause war. Jette und Jehan waren natürlich nicht so unvorsichtig, ihm die Tür zu öffnen, aber er beschimpfte sie von draußen und drohte ihnen: Jette hatte sich wohl bei ihren Aktivitäten zu weit in des Geschäftsgebiet der örtlichen Katzenmafia vorgewagt und das gefiel einem Siamkater namens Capone überhaupt nicht. Er verlangte von ihr eine Entschädigung für seinen Verdienstausfall, eine öffentliche Entschuldigung und die sofortige Stilllegung ihres Handelsunternehmens. Sonst…

Ja, was sonst? So leicht ließ Jette sich nicht einschüchtern. Womit sollte Siam Capone ihr wohl drohen?

Tja, sagte der ungemütliche Rottweiler, der von Siam Capone offensichtlich auf diese Frage vorbereitet worden war, es ist wohl so, dass doch noch ein Ausdruck der verschollenen Doktorarbeit von Dr. med. mepp. Jehan Jehanski aufgetaucht ist…

Ach du Scheiße! Nun war Jette doch beunruhigt.

… und da doch noch ein paar Fragen offen sind. Zum Beispiel die Frage, wo sich die Fernuniversität von Meppen befindet – in Meppen jedenfalls nicht. Und was das Spezialgebiet von Herrn Dr. Jehanski sein soll – Meppologie steht nämlich gar nicht im Register. Und welchen Alltag in welcher Klinik er in Kapitel 4 bis 13 so ausführlich beschreibt.

Schon gut, sagte Jette fauchend zu dem Rottweiler auf der anderen Seite der Tür, schon gut. Hau ab und sag Siam Capone, ich stelle meine Aktivitäten umgehend ein. Aber ich will die Doktorarbeit, in allen Exemplaren, sofort.

Der Rottweiler verschwand und Jette drehte sich zu Jehan um, der sich vorsichtshalber unter dem Bett versteckt hatte: Sie sind uns auf der Spur. Wir müssen hier weg, verdammt, und das schnell.

Mepp, sagte Jehan, und dabei klang er verdammt beunruhigt.

Fortsetzung folgt.

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