Von Dithmarschen nach Oberneuland. Die Geschichte von Jette und Jehan. Teil 4.

„Weißt du“, sagte Jette eines schönen Tages zu ihrem Bruder Jehan, der neben ihr auf dem Sofa saß und sich selbst am Allerwertesten leckte, „hier in Bremen ist es ja schön und gut und ruhig und so, aber irgendwie fehlt mir der Hamburger Trubel auch ein bisschen.“

„Mepp?“, fragte Jehan, höflich interessiert, aber eigentlich mit ganz anderen Dingen beschäftigt (seit Jahren versuchte er schon zu ergründen, was mit den beiden leicht behaarten Kugeln zwischen seinen Hinterbeinen geschehen war – manchmal war er geneigt zu vermuten, dass diese ihm quasi im Schlaf abhanden gekommen waren, was aber ja im Grunde genommen gar nicht sein konnte).

„Ja, wirklich“, erwiderte Jette, „schließlich sind wir, oder wenigstens ich, gebildete Stadtkatzen und irgendwie gibt es hier gar nicht so viele Untertanen äh ich meine Zeitgenossen, mit denen wir uns auf höherer Ebene austauschen können.“

„Mepp“, sagte Jehan und es klang wie: „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“

Das war Jette klar. Trotzdem war Jehan halt ihr Ansprechpartner Nummer 1, vor allem in den Stunden des Tages, in denen der große freundliche Mann nicht zu Hause war. Nicht, dass der wirklich alles verstand, was Jette sagte, aber ganz so begriffsstutzig wie Jehan war er dann doch nicht. Im Grunde, dachte Jette oft, könnte er einiges bewerkstelligen, wenn er nur häufiger auf sie hören würde.

„Genau“, sagte Jette. „Deswegen sollten wir mal wieder einen kleinen Abstecher nach Hamburg planen. Die dicke freundliche Frau lässt uns bestimmt bei sich wohnen und dann lernst du endlich auch deinen Schwarm Lotti persönlich kennen.“

„Mepp!“, erwiderte Jehan nachdrücklich. Lotti… Das war in der Tat eine Idee, die es sich zu verfolgen lohnte. Bisher kannte er sie ja nur vom Telefon und aus Zoom-Konferenzen, diese wunderbare weibliche Katze, die nicht seine Schwester war. Und er konnte sich fast nichts Schöneres vorstellen als mit dieser Wuchtbrumme auf dem Sofa zu sitzen und zu meppen.

„Und ich habe mit Leonie endlich mal wieder eine vernünftige Gesprächspartnerin“, freute sich Jette. „Ja, so machen wir es.“

„Äh… Wie machen wir es? Also, genau?“, fragte Jehan, der sich nicht ganz sicher war, ob er gerade nicht zugehört hatte oder ob Jette tatsächlich noch keinen konkreten Plan ins Auge gefasst hatte. Eigentlich war nicht Zugehört haben wahrscheinlicher, andererseits bemerkte er diese Sekundenschlafmomente normalerweise, weil ihm dann der Kopf zur Seite fiel. Im Moment aber saß dieser Kopf ganz gerade auf seinem Hals.

„Richtig“, erinnerte sich Jette, „wir brauchen einen Plan. Wir müssen den großen freundlichen Mann irgendwie dazu bringen, uns nach Hamburg zu der dicken freundlichen Frau zu fahren, denn mit dem Zug, das halten meine Nerven nicht aus.“

„Bloß nicht!“, stimmte Jehan ihr sofort zu. „Nachher fahren dann noch Hunde und anderer Pöbel mit!“

„Gib mir einen Moment!“, bat Jette. „Ich denke mir was aus.“

Dann setzte sie sich genau in die Mitte des Sofas, ganz aufrecht, und wickelte ihren Schwanz ganz ordentlich um ihre Vorderpfötchen. Sie schloss die Augen und fing an zu überlegen.

Jehan betrachtete seine Schwester bewundernd. Und etwas verwundert, weil ihr konzentriertes Nachdenken nach kurzer Zeit kleine Geräusche erzeugte, das ihn ein bisschen an Schnarchen erinnerte. Aber das konnte ja gar nicht sein.

Jehan starrte seine Schwester bewundernd an. Und starrte und starrte. Und dann fiel sein Kopf zur Seite und er machte ein kleines Nickerchen. Oder zwei. Was im Sitzen unbequem war, so dass er sich nach einigen Minuten auf die Seite legte und gemütlich einrollte. Immer ein Auge auf Jette haltend, natürlich. Schließlich konnte sie jederzeit die Augen öffnen und ihre Idee präsentieren. Andererseits war es sehr gemütlich auf dem Sofa und ein kleines Schläfchen war ja nun auch kein Verbrechen, sondern nur vorausschauend. Eine kleine Erholung, um dann topfit alle Ideen, die Jette ihm vorlegte, zügig und effektiv umsetzen zu können. Power Napping sozusagen, nur einen winzigen Momennnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn

„Ich hab’s!“, rief Jette triumphierend und der powernappende Jehan wäre vor Schreck fast vom Sofa gefallen.

„Wir schicken den großen freundlichen Mann in Urlaub. Auf eine Kreuzfahrt oder so. Und die dicke freundliche Frau kann er gleich mitnehmen, so dass wir und die Hamburger Fräuleins sturmfreie Bude haben!“

„Das ist genial“, fand Jehan sofort. „Aber der große freundliche Mann hat kein Geld. Sollen wir ihm etwa die Reise mit unseren Mäusen finanzieren?“

„Hm“, sagte Jette, die darüber noch nicht abschließend oder vielleicht auch noch gar nicht nachgedacht hatte, „das wäre natürlich ungünstig. Von unseren Mäusen kannst du vielleicht Lotti ein paar Tütchen als Mitbringsel kaufen, aber den Rest wollte ich eigentlich für Schuhe ausgeben. Und für einen neuen Schuhschrank, denn der alte ist schon wieder voll.“

Ja. Jettes Geschäfte liefen gut und sie hatte seit ihrer Ankunft in Bremen schon mehrere Schuhe und Schuhschränke angeschafft. Jehan, der noch immer die weißen Turnschuhe aus seiner Jugend trug und nicht die Absicht hatte, diese jemals mit neuen weißen Turnschuhen zu ersetzen, beobachtete das mit Staunen. Aber so war Jette nun einmal, kapriziös und eine echte Diva – und schließlich war sie seine Schwester und letzte bekannte Verwandte. Also schlief er gelegentlich klaglos auf oder in den Schuhschränken, die rund um das Sofa standen und den großen freundlichen Mann gelegentlich in arge Verwirrung stürzten.

„Es darf also nichts kosten“, sinnierte Jette, „oder noch besser: Die Kosten muss irgendjemand anderes übernehmen. Am besten der Staat oder die Versicherung oder die Fernsehlotterie. Am besten vielleicht die Krankenversicherung. Ja, ich denke, das könnte klappen: Wir schicken den großen freundlichen Mann zur Kur.“

„Zur Kur?“, fragte Jehan. „Aber… mit welcher Begründung denn?“

„Er ist psychisch angegriffen“, improvisierte Jette, „und deswegen kauft er ständig neue Schuhe. In Rosa und klitzekleinen Damengrößen, die ihm gar nicht passen. Und neue Schuhschränke, um die rosa Schuhe standesgemäß unterzubringen. Und dann vergisst er das, sieht die Schuhschränke und die Schuhe und regt sich wieder so schrecklich auf. Das reicht doch wohl, um zur Kur zu müssen, oder?“

„Bestimmt“, erwiderte Jehan, „aber wir dürfen nicht zu dick auftragen, sonst lassen sie ihn nicht nach ein paar Wochen wieder nach Hause, sondern behalten ihn ganz da.“

„Das wäre schlecht“, sagte Jette. „Dann müssten wir hinfahren und ihn befreien.“

„Wow!“, rief Jehan. „Jette, du bist so klug!“

„Ich weiß“, sagte Jette bescheiden, „ich weiß.“

Fortsetzung folgt.

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