Von Dithmarschen nach Oberneuland. Die Geschichte von Jette und Jehan. Teil 9.

„Wenn der große freundliche Mann jetzt nicht bald nach Hause kommt, dann vergesse ich, an welcher Stelle ich ihn immer in die Hand beiße“, kündigte Jehan an. „Und nachher beiße ich ihn versehentlich irgendwo, wo es gar nicht wehtut.“

„Das wäre schlecht“, befand Jette. „Ich beiße ja nicht, aber nachher hat er, weil er ja ohne uns so viel Sport treibt, so stark abgenommen, dass ich nachher nicht mehr auf seinem Bauch sitzen kann. Weil kein Bauch mehr da ist. Und das wäre schrecklich, denn dann müsste ich auf seinen Beinen hocken wie eine ganz normale Katze!“ Die kleine weiße Katze schauderte alleine bei der Vorstellung.

„Aber wenn der große freundliche Mann zurückkommt, müsst ihr doch wieder nach Hause zurück!“, sagte Leo. „Ihr könnt ja nicht alle immer hier wohnen.“

„Warum eigentlich nicht?“, fragte Jehan, „das wäre doch toll. Wir könnten abends zu sechst auf dem Sofa sitzen und ich könnte jede Nacht bei Lotti schlafen.“

„Du Wüstling!“, sagte Lotti und schüttelte sich wohlig. Jehan grinste lüstern und versuchte, Lotti einen Pfotenkuss zuzuwerfen, wobei er leider das Gleichgewicht verlor und unsanft auf dem Hintern landete. Was ihn aber nicht weiter störte: Er rollte sich gemütlich auf den Rücken und hielt seinen flauschigen weißen Bauch in die Gegend. „Guck mal, Lotti, das könnte alles deins sein.“

Leo und Jette übten sich, wie nun schon seit mehreren Wochen sehr regelmäßig, im Simultan-Augenverdrehen. Lotti hingegen kicherte, wie ebenfalls seit mehreren Wochen sehr regelmäßig, höchst albern vor sich hin.

„Was ist hier los?“, fragte die dicke freundliche Frau, die gerade in dem Moment das Zimmer betrat. „Alles wie immer?“

„Alles wie immer!“, erwiderten die Katzen.

Die dicke freundliche Frau ließ sich vorsichtig auf das ziemlich vollbesetzte Sofa sinken. Sofort krabbelten ihr von der einen Seite Leo und von der anderen Seite Jette auf den Schoß, woraufhin ein kurzes Fauchduell ausbrach, das damit endete, dass beide Katzen sich gemütlich Seite an Seite auf der dicken freundlichen Frau zusammenrollten.

„Wenn alles gutgeht“, verkündete sie in die Runde, „dann kommt euer Mensch schon nächstes Wochenende nach Hause! Ist das nicht toll?“

„Bringt er uns was mit?“, fragte Jette.

„Will er dann auch auf dem Sofa sitzen?“, fragte Lotti.

„Wann weiß er das denn sicher?“, erkundigte sich Leo.

„Mepp?“, fragte Jehan und leckte sich weiter die Hinterpfote.

„Bestimmt ruft er bald an“, kündigte die dicke freundliche Frau an, „und vielleicht weiß er es dann schon sicher. Ist das nicht wunderbar?“

Erwartungsvoll starrten eine dicke freundliche Frau und vier flauschige Katzen das Smartphone an. Das starrte zurück, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Mehrere Minuten lang, dann konnte es die Spannung auch nicht mehr ertragen und klingelte endlich.

„Hallo!“, sagte die dicke freundliche Frau, wurde aber übertönt von einem vierstimmigen „Wann kommst du endlich nach Hause?“

„Am Freitag“, rief die Stimme des großen freundlichen Mannes aufgeregt aus dem Telefon. „Ich darf tatsächlich schon vor dem Wochenende nach Hause! Ist das nicht großartig.“

„Großartig!“, riefen eine dicke freundliche Frau und vier flauschige Katzen. „Das wird aber auch Zeit.“

„Ich weiß“, antwortete der große freundliche Mann, „ich weiß. Ich habe euch alle sehr vermisst.“

„Hast du sehr viel abgenommen?“, fragte Jette besorgt. „Nicht, dass ich nicht mehr auf deinem Bauch sitzen kann…“

„Selbst wenn…“, mischte Leo sich ein. „Den Bauch füttern wir ihm schnell wieder an. Nachdem es da in dem Kurort nichts Richtiges zu essen gab, werden wir ihn mit all den Köstlichkeiten, die Hamburg so zu bieten hat, schnell wieder auf sein normales Gewicht bringen.“

„Stimmt“, sagte Jette beruhigt. „Das sollte funktionieren. Und schnell. Und dann sitze ich erstmal vier Wochen nonstop auf dem Bauch. Auch auf dem Klo und unter der Dusche.“

„Ein sehr guter Plan“, fand Leo. „So gewöhnt er sich am schnellsten wieder ein und daran, endlich wieder unter vernünftigen, denkenden und fühlenden Wesen zu sein.“

„Mepp“, sagte Jehan. Mit Ausdruck.

Die dicke freundliche Frau freute sich auch, sehr sogar, kam aber in diesem Telefongespräch nicht sehr oft zu Wort. Dafür riefen die Katzen alle durcheinander, eine lauter als die andere. Der große freundliche Mann verstand keineswegs alles, was sie sagten, aber das, so dachte er, hatte vermutlich damit zu tun, dass er in der letzten Zeit einfach viel zu wenig mit ihnen gesprochen hatte. Schrecklich. Gut, dass dieser Zustand nun so gut wie vorüber war.

Als das Telefongespräch nach ein paar Minuten vorbei war, brach hektische Aktivität aus. Die dicke freundliche Frau fing an, etwas planlos und nicht sehr effektiv, aber immerhin, Katzenhaare zusammenzufegen und Kissen und Decken abzubürsten. Lotti zerrte ihre Schmusedecke auf die Beifahrerseite des Sofas und ließ sich darauf nieder. Ihr Gesicht sagte: Hier sitze ich und sonst niemand. Leo knabberte am Katzengras und überlegte, an welche Stelle der Wohnung sie in gut einem Jahr eigentlich noch nicht gekotzt hatte. Jette durchsuchte diverse Schuhkartons nach ihren Lieblingspumps. Und Jehan machte mitten auf dem Sofa ein Schläfchen, sehr zufrieden und ohne irgendeinen Drang, etwas zu erledigen.

Bis zum Freitag waren es nur noch wenige Tage. Alle hatten den großen freundlichen Mann schrecklich vermisst, schrecklich. Und nun freuten sie sich wahnsinnig darauf, ihn endlich wiederzusehen. Mit oder ohne Bauch, auch wenn Jette das niemals zugegeben hätte.

 

 

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